Freitag, 13. September 2013

Väterforschung.

aus Die Presse, Wien, 9. 6. 2013

Unsere Väter: Unerforschte Wesen  

Welche Rolle spielt der Vater in der Kindererziehung? Eine große Studie widmet sich dem von der Forschung bislang stiefmütterlich vernachlässigten Forschungsobjekt.

von Petra Paumkirchner

Die Mutter-Kind-Beziehung ist längst eine gläserne Beziehung, die im letzten Jahrhundert aus allen Blickwinkeln untersucht und analysiert wurde. Wie ist es aber um den Vater bestellt? Was weiß die Forschung über die Vater-Kind-Beziehung? Wenig, sagt die Entwicklungspsychologin Lieselotte Ahnert der Uni Wien, Expertin für frühkindliche Entwicklung: „Die Zeit ist reif, dass das Thema Vaterschaft erforscht wird. Moderne Väter fordern das auch ein.“

Ahnert hat gemeinsam mit fünf Kollegen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz das Netzwerk „Central European Network on Fatherhood“, Cenof, gegründet, in dem Vaterschaft aus fünf Perspektiven betrachtet wird: aus der Persönlichkeits-, Bio-, Arbeits- und Entwicklungspsychologie sowie der Psychopathologie.

Die Forscher interessiert zunächst, ob der Mann an sich von seiner psychischen und biologischen Ausstattung her Interesse daran hat, ein Kind großzuziehen. „Er hat keine Disposition gegen Kindererziehung, aber er ist stammesgeschichtlich darauf auch nicht ausgerichtet“, sagt Ahnert. Ein Teilaspekt dieser vielfältigen Studie ist der männliche Hormonhaushalt. Aus der Männerforschung weiß man, dass Männer mit hohem Testosteronspiegel im Blut weniger empathisch sind als Männer mit niedrigerer Konzentration des Sexualhormons.

Es stellt sich aber die Frage, ob Männer mit einer geringeren Testosteronkonzentration daher die besseren Väter sind oder ob Väter, die intensiv an der Geburtsvorbereitung Anteil nehmen, im Laufe der Schwangerschaft unabhängig von ihrer biologischen Ausstattung empathischer werden und eine erhöhte Fürsorglichkeit entwickeln.

Behütende Mütter. 

„Spannend ist auch, welche Rolle die Väter überhaupt in der Familie spielen dürfen. Was lassen die Mütter zu?“ In der Psychologie spricht man vom „gatekeeping“-Konzept. Die Mutter funktioniert als „Torhüter“ und bestimmt, inwieweit sich der Vater an der Kinderbetreuung beteiligen darf.

Um das Großprojekt gut vorzubereiten und über die alltägliche Rolle des Vaters mehr zu erfahren, wurden Väter auf Kinderspielplätzen und in Kinderspielwarengeschäften von den Forscherinnen und Forschern interviewt. Neben klassischen Fragebögen zu den Themen Familienklima und Partnerschaftsqualität wird auch eine Smartphone-App benutzt, mit der die Väter ihr Zeitmanagement dokumentieren sollen.

„Die Väter bekommen eine Woche lang zu unterschiedlichen Zeiten ein SMS und müssen angeben, was sie gerade machen“, erklärt Ahnert die App, die sie derzeit mit ihren Studierenden erproben lässt. Meistens werden Teilnehmer ähnlicher Studien rückwirkend über ihren Wochenablauf befragt, was oft zu unrealistischen Einschätzungen führt und Ergebnisse verzerrt.

Fordernde Väter. 

„Zentral für uns ist, die Motive und Bedingungen herauszufinden, mit denen sich Väter mit ihren Kindern auseinandersetzen“, so Ahnert. Generell lässt sich sagen, dass Väter anders mit ihren Kindern umgehen als Mütter: Sie stellen den fordernden Elternteil dar, manchmal überfordern sie die Kinder sogar. Während die Mütter behütend und beschützend wirken, sind die Väter eher herausfordernd.

Die Kinder können mit ihren Vätern den Erkundungsdrang ausleben und lernen mit Rivalität und Aggressivität umzugehen. Um das zu untersuchen, sind neue Forschungssettings nötig. Die klassischen Settings zwischen Mutter und Kind, bei denen Mutter und Kind z.B. gemeinsam in einem Raum spielen und die Mutter diesen kurz verlässt, um zu sehen, wie das Kind reagiert, können auf die Vater-Kind-Beziehung nicht umgelegt werden.

„Derzeit versuchen wir kreative, neue Ideen für eine standardisierte Testsituation mit Vater und Kind zu entwickeln“, sagt Ahnert. Dazu haben sich die Studierenden Bewegungsspiele und Bewegungsparcours ausgedacht, um darstellen zu können, wie Väter mit ihren Kindern umgehen. Wie lassen sich die Väter für diese Spiele begeistern? Weiters schaut sich die Forschungsgruppe an, welche Impulse Väter bei geistigen Herausforderungen für ihre Kinder setzen – zum Beispiel bei Knobelspielen, Puzzles und Geschicklichkeitsspielen.

Die Beobachtungen sollen aufzeigen, welche Entwicklungsimpulse von Vätern ausgehen und wie sich diese von jenen der Mütter unterscheiden. Daraus lassen sich auch Rückschlüsse ziehen, woran es Kindern, die ohne Väter aufwachsen, mangelt bzw. was alleinerziehende Mütter kompensieren müssen.

„Ein Forschungsschwerpunkt sind auch die immer zahlreicher werdenden Patchwork-Familien.“ Historisch gesehen sind Stiefmütter häufig in den Familien unserer Vorfahren anzutreffen, denn bis zum 20. Jahrhundert verstarben viele Wöchnerinnen an Kindbettfieber. Stiefväter sind ein relativ junges Phänomen, das jedoch zunimmt. Wenn es biologisch nicht ihr eigenes Kind ist, wodurch sind Stiefväter motiviert, sich bei der Kindererziehung zu engagieren? Und wie ändert sich die Motivation, wenn der Stiefvater und die Mutter der Stiefkinder eigene Kinder bekommen?

Entwicklung bei Frühgeborenen. 

Lieselotte Ahnert selbst wird sich in einem Teilprojekt mit der Vater-Kind-Bindung bei Frühgeborenen beschäftigen. Seit eineinhalb Jahren führt sie in Kooperation mit dem Wiener AKH Studien in der Nachsorgeambulanz für Frühgeborene (gemeinsam mit Renate Fuiko) durch, um vor allem deren emotionale Entwicklung zu verfolgen.

„Wir konnten zeigen, dass Frühgeborene, die in ihrer weiteren Entwicklung durchaus von den Eltern in einem passenden Ausmaß gefordert und nicht nur behütet und von jeglicher Herausforderung abgehalten werden, später bessere emotionale Regulationsmechanismen zeigen und Stress besser bewältigen können als sozusagen nur in Watte gepackte Frühgeborene.“ Dies ist allerdings eine Gratwanderung, die noch besser untersucht werden muss, weil sie auch Auswirkungen auf die Beratung der Eltern hat.

Die Beratungsstellen sind jedoch fast vollkommen auf die Mütter fixiert. Umso wichtiger ist es, den Vater ins Boot zu holen und sein Potenzial in der Kindererziehung zu nutzen. Die Studienergebnisse von Cenof sollen – so jedenfalls der Wunsch der Forscher – in sozialpolitische Maßnahmen münden.

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