Donnerstag, 3. Dezember 2015

Im Brägen nichts Neues.


In den vergangenen Tagen ist es durch die Blätter gerauscht: Nein, es gibt kein männliches und kein weibliches Gehirn! Die Unter-schiede sind gar nicht so groß... Das kam, je nach Blatt, in unterschiedlicher Aufmachung, aber es könnte sein, dass gerade die Zeitung, die Sie lesen, das wie eine brandneue Sensation ausposaunt hat. Darum hier die Klarstellung: Es bleibt wiedermal alles beim Alten.

Ach, was war noch gleich 'das Alte'? Früher, ja früher, da war der Unterschied zwischen Mann und Frau sowieso naturgewollt. Ab den späten 60ern hieß es dann aber: Außer einem ganz kleinen gibt es gar keinen Unterschied zwischen Männlich und Weiblich. (Na und im Gehirn ja schon gleich garnicht.) Alles andere ist "nur Sozialisation". 


In den späten 70ern kam dagegen auf: Frauen denken mit rechts, Männer denken mit links. Frauen ganzheitlich, intuitiv und gut, Männer analytisch, verstandesmäßig und ganz, ganz schlecht. Das hielt nur einen Sommer, dann kam raus: Es ist der Unterschied zwischen rechter und linker Hemisphäre, der gar nicht so groß ist, und Frauen denken wie Männer mit der einen so gut wie mit der andern. 

Dann hieß es, der Balken, corpus callosum, ist bei Frauen dicker und darum durchlässiger, sie können links und rechts besser vernetzen, bald erfuhr man: Bloß ein ganz kleines bisschen dicker, kaum der Rede wert. Zwar neigen Frauen tatsächlich dazu, mehr Synapsen zwischen den Hemisphären auszubauen, und und Männer dazu, mehr Verbindungen innerhalb der jeweiligen Gehirnhälfte herzustellen - aber mit dem Balken hat das anscheinend gar nichts zu tun.

So rauscht es immer wieder mal im Blätterwald. Auch diesmal, als nur olle Kamellen frisch aufgewärmt wurden. Dabei hat sich in den weiseren Redaktionen schon herumgesprochen, dass gerade in der Hirnforschung nichts so heiß gegessen werden darf wie gekocht. So zitierte etwa die Süddeutsche einen Teilnehmer des Jahreskongresses der Fachgesellschaft DGPPN in Berlin: "Es ist, als würde man ein iPhone zerschlagen, das Kupfer ausschmelzen, um dann aus dem Metallgehalt auf den Inhalt der Gespräche schließen zu wollen."


aus derStandard.at,  30. November 2015, 21:01

Weibliche Hirne sind doch nicht so ganz anders
Seit einigen Jahren wird vor allem im Gehirn nach biologischen Differenzen zwischen den Geschlechtern gesucht. Eine neue Studie meldet nun Zweifel an 

Leipzig/Wien – Das Buch war vor knapp zehn Jahren ein Weltbestseller: Die US-Neuropsychiaterin Louann Brizendine hatte 2006 in "The Female Brain" behauptet, dass Frauen und Männer völlig unterschiedliche Gehirne hätten. Frauen seien im Vergleich zu Männern mit besonderen sprachlichen, emotionalen und sozialen Kompetenzen gesegnet, die in ihre Gehirne "fest einprogrammiert" seien, so Brizendine. 

Das Buch markierte eine Wende im populärwissenschaftlichen Geschlechterdiskurs, indem Unterschiede zwischen Frauen und Männern ins Gehirn verlagert wurden. Brizendines populärwissenschaftlich gehaltener Befund wurde in den letzten Jahren durch die eine oder andere seriöse Studie gestützt: Ende 2013 etwa fanden Forscher um Madhura Ingalhalikar (University of Pennsylvania in Philadelphia) heraus, dass Frauen in weiten Teilen des Gehirns besonders viele Kontakte zwischen den beiden Hirnhälften besäßen. Männer hingegen würden über mehr Verknüpfungen innerhalb der Hemisphären verfügen. 

Schlüsse aus der Anatomie 

Auch Ingalhalikar und ihre Kollegen ließen sich so wie Brizendine dazu verleiten, von den scheinbar existierenden anatomischen Differenzen auf unterschiedliche Eigenschaften von Männern und Frauen zu schließen: So könnten Frauen analytische und intuitive Informationen besser miteinander verbinden. Eine neue Untersuchung bringt nun die Vorstellungen von den völlig unterschiedlichen weiblichen und männlichen Gehirnen etwas ins Wanken. Zwar gäbe es Differenzen, berichten Hirnforscher um Daphna Joel (Uni Tel Aviv) und Daniel Margulies (Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig) im Fachmagazin "PNAS". 

Doch in den Gehirnen der meisten Menschen würden sich "weibliche" und "männliche" Merkmale mischen. Für ihre Studie wertete das Team Hirnscans von 1400 Probanden aus – zunächst danach, wo Unterschiede zwischen den Gehirnen von Männern und Frauen am stärksten ausgeprägt waren. Ähnlich wie auch schon Ingalhalikars Team legten sie besonderes Augenmerk auf die Verknüpfungen innerhalb und zwischen verschiedenen Hirnbereichen. Zudem analysierten sie mögliche Unterschiede in der grauen und der weißen Substanz des Gehirns. 

Mischung von Merkmalen 

Schließlich bewerteten die Neurowissenschafter die Gehirne danach, inwieweit sie in den betreffenden Bereichen rein weibliche oder rein männliche Merkmale besitzen – und kamen zu einem differenzierten Ergebnis: Zwar gäbe es Merkmale, die eher bei Männern oder eher bei Frauen zu finden sind. Die meisten Hirne besäßen einen Mix aus allen Kategorien. Gehirne mit rein männlichen und rein weiblichen Kennzeichen seien deutlich in der Minderheit. Im Bezug auf die graue Substanz besaßen zum Beispiel nur sechs Prozent der betrachteten Probanden durchgängig weibliche oder durchgängig männliche Kennzeichen. 

Diese Ergebnisse würden sich gut mit jenen von Studien decken, in denen Verhaltens- oder Persönlichkeitsunterschiede zwischen Männern und Frauen untersucht worden waren, schrieben die Forscher. Auch hier ließen sich nur wenige Probanden eindeutig einem Geschlecht zuordnen. Schließlich sei ihre Studie auch ein wichtiger Beitrag zu Debatten etwa über den Nutzen von geschlechtsgetrennter Erziehung. Dafür würde die Studie eher keine Grundlage bieten. (tasch

Abstract PNAS: "Sex beyond the genitalia: The human brain mosaic" - derstandard.at/2000026703938/Weibliche-Hirne-sind-doch-nicht-so-ganz-anders

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