Sonntag, 8. Mai 2016

Reuige Mütter.

aus Der Standard, Wien, 8. 5. 2016


Müttermythos, Mütterterror, Mutterglücklüge.

Gleich vier Bücher widmen sich dem Phänomen der bereuten Mutterschaft. Nicht alle sind geglückt. Trotzdem ist die Debatte zu #regrettingmotherhood wichtig

von Tanja Paar

Die Entscheidung für Kinder bereuen – ja darf man das? Frauen dürfen es nicht. Und wenn sie es doch tun, sollen sie gefälligst darüber schweigen. Das zeigt die Debatte um #regretting motherhood. Die deutsche Journalistin Esther Göbel hat in der Osterausgabe der Süddeutschen Zeitung 2015 über eine israelische Studie berichtet, die sich mit diesem Phänomen befasst. Innerhalb kürzester Zeit hatte der Artikel hunderttausende Klicks, andere Medien folgten, die Diskussion erhitzte die Gemüter.
 
Jetzt hat Göbel ein Buch dazu vorgelegt, in dem sie ihre Überlegungen vertieft: Die falsche Wahl. Wenn Frauen ihre Entscheidung für Kinder bereuen. Ihre Definition, was #regretting motherhood überhaupt ist, deckt sich dabei genau mit jener von Orna Donath, der israelischen Soziologin, die die Debatte losgetreten hat. Es geht ihr dabei "nicht nur um Ambivalenz, sondern um anhaltende Reue". Nicht gemeint sind also einzelne Momente der Wut, Trauer oder Überforderung, wie sie wahrscheinlich alle Eltern kennen, sondern um jahrelange Reue, die – wahrscheinlich – für immer anhält.

Schwächen der Studie

Damit wir wären auch schon bei einer der Schwächen der Originalstudie: Donath hat nur 23 israelische Frauen im Alter zwischen 26 und 73 Jahren interviewt, die die Nationalität gemeinsam haben. Bezüglich Bildung, Gesellschaftsschicht, Religion, Erwerbstätigkeit, Anzahl der Kinder und Familienstand unterscheiden sie sich stark, auf die persönliche Lebensgeschichte wird nicht eingegangen. Donath selbst weiß, dass das sehr wenig ist, und unterstreicht, dass es sich eben um eine qualitative und nicht um eine quantitative Methode handle. Sehr viel mehr als eine Momentaufnahme sind diese Interviews also nicht.

In der Folge beteuert auch Göbel, dass ihr Buch "keinen universellen Wahrheitsanspruch" erhebe, es ginge ihr "um ein persönliches Gefühl in einem gesellschaftlichen Kontext". Es habe dazu bisher in Deutschland wie in Israel keine "Redenskultur gegeben". Damit hören sich die Gemeinsamkeiten in dieser Sache aber auch schon fast wieder auf. Auch wenn in Deutschland – und sicher auch in Österreich – nach wie vor das Leitbild "Frauen sollen Kinder gebären" gilt, ist die Situation in Israel eine andere als bei uns: Israelische Frauen bekommen im Schnitt 3,0 Kinder, damit befinden sie sich deutlich über der Geburtenrate der restlichen OECD-Länder, die bei 2,0 Kindern liegt (Österreich 1,4, Stand 2014).

Müttermythos

Das weiß auch Göbel, die sich für ihr Buch zwar auf Recherchereise nach Israel begab, sich aber dann ausführlich dem "deutschen Müttermythos" widmet – und das zu Recht: Denn hier liegt der Hund begraben. Göbel holt sehr weit aus in ihrer "Geschichte der Verirrung": bis zu Rousseau, der keinen Unterschied zwischen Frau und Mutter machen will, und Pestalozzi, der das Kindeswohl an die Mütter knüpft. Sehr schön arbeitet sie den Müttermythos als Phänomen des Bürgertums heraus. Erst ab Mitte des 18. Jahrhunderts entsteht im Zuge der Industrialisierung "die Idee der modernen Kernfamilie" mit einer Mutter, die sich ausschließlich um Haushalt und Kinder kümmert, ein Bild, das im Mutterkult der Nazis noch einmal einen perversen Spin bekommt – und mit dem wir bis heute hadern.

Göbel weist auch auf die "naturalistische Offensive" um 1973 hin, als in der Folge der Weltwirtschaftskrise die Frauen an ihre "natürliche" Gebärfreudigkeit und ihren Platz am Herd erinnert wurden, heute stößt ihr das "attachment parenting" auf, das Phänomen, dass Kinder überallhin mitgebracht werden und bei allem mitreden dürfen. Auch die "neuen Väter" vergisst sie nicht. Ihnen mangle es an Vorbildern, sie befänden sich in einem "Findungsprozess". Wir alle seien nach wie vor sehr traditionellen Rollenmodellen verhaftet.

Ihre Folgerungen: Mütter bräuchten mehr Unterstützung, zum Beispiel in Form eines besseren Steuer- und Unterhaltsrechts für Alleinerziehende, sowie eine "konsistente Familienpolitik, die die heutige Vielfalt von Lebensweisen anerkennt und egalitäre Beziehungs- und Erziehungsmodelle fördert. Dazu mehr Teilzeitmodelle, eine Umstrukturierung der patriarchal organisierten Arbeitswelt und bessere Betreuungsmöglichkeiten". Damit fällt sie ein wenig hinter ihre Ankündigung zurück, dass es ihr "nicht nur um eine Vereinbarkeitsdebatte" gehe. Das ist aber auch schon der einzige Vorwurf, den man diesem intelligenten, in den Reportageteilen sehr lebendig und anschaulich geschriebenen Buch machen kann.
Mütterterror

Anders ist das bei Mütterterror. Angst, Neid und Aggressionen unter Müttern von Christina Mundlos. Das bereits 2013 erschienene Buch wurde wohl im Zuge der #regretting motherhood-Debatte in erweiterter Form abermals auf den Markt geworfen. Den geschichtlichen Hintergrund, also die "Erfindung der guten Mutter" rollt Mundlos ähnlich, wenn nicht ganz so ausführlich auf wie Göbel. Sie fokussiert aber auf die Mütter, die sich gegenseitig das Leben schwermachen. Damit reduziert sie das Phänomen einmal mehr auf eines unter Frauen. Dass es ein gesellschaftlich gemachtes ist, bleibt so leider auf der Strecke.

"Mutterschaft unterliegt einer starken Professionalisierung", schreibt sie richtig. "Die Ansprüche an Kindererziehung sind in den letzten 20 bis 30 Jahren enorm gestiegen." Schnullerformen, Weichmacher im Spielzeug schnell erkennen, veganer Babybrei, aus alldem kann man heute eine Wissenschaft machen. Die Schlüsse, die Mundlos daraus zieht: "Wenn Mütter daran nicht kaputtgehen wollen, müssen sie die Ansprüche runterschrauben, die Aufgaben reduzieren und sich diese mit Vätern und Betreuungseinrichtungen teilen." Dass schon wieder die Mütter all das müssen, ist eigentlich nicht einzusehen.

Mutterglücklüge

Dem pflichtet auch Sarah Fischer in Die Mutterglücklüge. Regretting motherhood – Warum ich lieber Vater geworden wäre bei. Die 1972 Geborene erzählt darin sehr persönlich über ihre Probleme mit dem Muttersein, ihre Langeweile auf dem Spielplatz, Kindergeburtstage und ihre Schwierigkeiten beim Wiedereinstieg ins Berufsleben. Das Buch wirkt ein wenig wie ein Schnellschuss, so als wolle die Autorin auf die Debatte aufspringen. Ihre Beschreibungen lesen sich mitunter wie eine Themenverfehlung denn: Ihre ambivalenten Gefühle entsprechen dem, was Donath oder Göbel meinen, eben nicht. "Es gibt Momente, in denen bin ich unglücklich, weil ich ein Kind habe." Solche Momente kennen viele – aber heißt das schon, die Mutterschaft zu bereuen?

Dann doch lieber beim Original bleiben: Orna Donath selbst hat ihre Studie nun auch zu einem Buch verarbeitet, das 2016 bei Knaus in deutscher Übersetzung erschienen ist. In #regretting motherhood. Wenn Mütter bereuen erklärt sie ausführlich, wie es zu der Studie gekommen ist und was sie damit intendiert hat. Sie schreibt: "Die Frage, welche Auswirkungen sich für uns alle daraus ergeben, ist eine Art Gratwanderung ... Denn einerseits kann es durchaus sein, dass die Beschäftigung mit diesen Themen an und für sich qualvolle Folgen hervorruft, weichen wir diesen Themen jedoch aus, werden wir andererseits daran gehindert, bestimmte gesellschaftliche Realitäten so zu verstehen, dass sich etwas ändert."

Conclusio: Heute dürfen Frauen sagen: "Ich bereue es, ein Kind zu haben." Auch wenn prominente Kollegen wie Harald Martenstein das aus persönlichen Gründen anders sehen. Es geht hier eben nicht nur um das Persönliche. Political Correctness ist eine kleine Schwester des Tabus. Das können wir 2016 ruhig besprechen. Deswegen war und ist diese Debatte wichtig. 


Orna Donath
Wenn Mütter bereuen

Knaus- Verlag 2016
272 Seiten, 17,50 Euro

 
Christina Mundlos
Wenn Muttersein nicht glücklich macht

mvg-Verlag 2015
240 Seiten, 14,99 Euro

 
Sarah Fischer
Die Mutterglücklüge

Ludwig 2016
240 Seiten
17,50 Euro

 
Esther Göbel
Die falsche Wahl

Droemer 2016
224 Seiten, 19,99 Euro



Nota. -  Zunächst darf ich ein Aufatmen vermelden (nein, ich übersehe das Positive nicht!): Ich habe erwartet, daran, dass Frauen bereuen, ein Kind bekommen zu haben, seien auch wieder die Väter oder doch irgendwie das noch immer nicht überwundene Patriarchat schuld. Das ist uns diesmal erspart geblieben. Aber sonst ist alles wie gehabt: Es sind die Andern, bei denen 'Handlungsbedarf' bemerkt wird, "die Gesellschaft", wer auch sonst (sie muss mehr Mittel zur Verfügung stellen), und nicht etwa die Frauen, die Kinder bekommen haben, obwohl sie nicht dafür geeignet sind.

Es ist nämlich so, vielleicht ist Euch das schon viel zu selbstverswtändlich geworden: Wer heute keine Kinder will, die (!) braucht auch keine zu bekommen. Früher war das anders, da war's der Lauf der Natur, gegen den nur mit Enthaltsamkeit anzukommen war. Heute kann - und muss sogar - frau sich fragen, ob sie überhaupt Kinder gebrauchen kann.

Nein nein, Sie irren sich, jetzt kommt nicht: "Sie hätten sich's eben besser überlegen sollen." Da liegt vielmehr der Hund begraben, dass heute viel zu sehr überlegt wird in diesen Dingen! Die Folge ist: Den eben erst gezeugten und noch lange nicht geborenen Kindern werden Aufgaben und Erwartungen zugedacht, die mit ihnen selbst kaum etwas zu tun haben; aber wohl mit dem Selbstbild von Mama (und Papa, geb ich ja zu). Dann wird es immer häufiger vorkommen, dass die Kinder dem Selbstbild von Mama (und Papa, dto.) - das zudem in dem Bild verpackt ist, das man ihnen von sich selber überzuhelfen sucht - nicht gerecht werden. Woraus dann unschwer hervorscheint, dass Mama (und Papa) ihrem Selbstbild nicht gerecht werden!

Es ist also wahr: "Die Gesellschaft" ist schuld, aber die besteht nicht aus "Andern", sondern aus lauter Leuten, die seit vier Jahrzehnten den Floh im Ohr haben, sie seien auf der Welt, um sich selbst zu verwirklichen. Wer diese Einstellung bei sich findet, darf sich nicht wundern, wenn er mit seinem Leben unzufrieden ist; denn was dabei herauskommt, gibt zu Zufriedenheit oft keinen Anlass, und sie hätten besser daran getan, das eine oder andere von sich unverwirklicht zu lassen.
JE




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