Dienstag, 31. Januar 2017

Die Hormone, sicher; aber wie?

 aus scinexx

Wie soziale Anziehung im Gehirn entsteht 
Spezieller Schaltkreis lässt Mäuse die Nähe zum anderen Geschlecht suchen

Folgenreiche Anziehungskraft: Forscher haben herausgefunden, warum wir uns zu einem potenziellen Sexualpartner hingezogen fühlen. Verantwortlich dafür ist offenbar ein spezieller Belohnungsschaltkreis im Gehirn. Dieser reagiert - zumindest bei Mäusen - auf äußere Signale wie Gerüche, wird aber auch vom Hormonhaushalt gesteuert. Auf diese Weise sorgt er im entscheidenden Moment für soziale Anziehung.

Der Drang sich fortzupflanzen ist in jedem Tier verankert - auch beim Menschen. Der Grund dafür ist klar: Nur wer Sex hat, kann seine Gene erfolgreich verbreiten. Doch damit es überhaupt soweit kommt, muss eine wichtige Voraussetzung erfüllt sein. Wir müssen einen potenziellen Sexualpartner erstens erkennen und zweitens auch noch attraktiv finden. Nur dann kommt es womöglich zum entscheidenden Akt.
 

"Dieser Urinstinkt ist notwendig fürs Überleben und muss in unserem Gehirn fest veranlagt sein", schreiben Wissenschaftler um Jenna McHenry von der University of North Carolina in Chapel Hill. Wie aber entsteht die Anziehungskraft eines vielversprechenden möglichen Partners genau? Diese Frage hat das Team nun - zumindest bei Mäusen - klären können.
 
Blick ins Mäuse-Gehirn

Im Fokus der Forscher stand ein bestimmter Bereich innerhalb des Hypothalamus: die Area praeoptica medialis, kurz mPOA. Diese Ansammlung von Neuronen spielt bei allen Wirbeltieren eine bedeutende Rolle für das Sozialverhalten - beim Fisch ebenso wie beim Menschen. Unklar war bisher jedoch: Treibt diese Region tatsächlich auch die soziale Motivation an, die uns die Nähe zum anderen Geschlecht suchen lässt?

 

Um das zu überprüfen, schauten McHenry und ihre Kollegen lebenden Mäuse-Damen ins Gehirn. Mithilfe des sogenannten Calcium-Imagings konnten sie bei den Tieren die Aktivität der Nervenzellen anhand von fluoreszierenden Calciumproteinen sichtbar machen. Was würde passieren, wenn die weiblichen Nager in Kontakt mit Männchen kamen?
 
Verführerischer Urin

Tatsächlich zeigte sich: Sobald die tierischen Probanden den Geruch von männlichem Mäuse-Urin wahrnahmen, stieg die Aktivität der Neuronen in einem Teil der mPOA deutlich an. Andere Reize wie der Duft weiblichen Urins oder leckeren Futters lösten hingegen keine Erregung aus. Interessant dabei: Die Nervenzellen reagierten verlässlicher und deutlicher auf die Reize des männlichen Geschlechts, wenn die Mäuse-Damen einen hohen Östrogenspiegel im Blut hatten - das ist der Fall, wenn die Tiere ihre fruchtbaren Tage haben.

 

Wie die Aktivität dieser Neuronen das Verhalten der Mäuse beeinflusst, offenbarte ein weiteres Experiment. Dafür stimulierten die Forscher die Nervenzellen im mPOA bei einigen Mäusen künstlich. Das Ergebnis: Sowohl männliche als auch weibliche Nager, die auf diese Weise manipuliert worden waren, suchten intensiver die Nähe des anderen Geschlechts.
 
Belohnung als Antrieb

"Die Ergebnisse zeigen, dass die Neuronen auf sensorische und hormonelle Signale reagieren und diese in Sozialverhalten umsetzen", sagt McHenrys Kollege Garret Stuber. Dabei sind sie offensichtlich in einen speziellen Belohnungsschaltkreis involviert. So konnten die Forscher zeigen, dass die Neuronen des mPOA mit dem ventralen Tegmentum verbunden sind: einer Hirnregion, die durch die Ausschüttung des Glückshormons Dopamin das mesolimbische System aktiviert.

 

"Soziale Belohnung wird in diesem Schaltkreis offenbar gegenüber nichtsozialer Belohnung, etwa durch Futter, bevorzugt", sagt McHenry. "Die Neuronen des mPOA sorgen auf diese Weise für die entscheidende soziale Anziehung zwischen potenziellen Fortpflanzungspartnern."
 
Bedeutung für Depression & Co?

Diese Erkenntnisse könnten künftig womöglich auch für die Erforschung von Angststörungen oder Depressionen von Bedeutung sein - psychiatrische Erkrankungen, die die soziale Motivation beeinträchtigen und bei Frauen durch Veränderungen im Hormonhaushalt ausgelöst oder verschlimmert werden können.

 

"Hormonbedingte Veränderungen der sozialen Motivation sind für das Fortpflanzungsverhalten wichtig. Atypische Schwankungen scheinen aber auch die Grundlage für Krankheitsbilder wie die postnatale Depression zu sein", sagt McHenry. (Nature Neuroscience, 2017; doi: 10.1038/nn.4487)

(University of North Carolina, 31.01.2017 - DAL)


Montag, 23. Januar 2017

Körperbehaarung.

 
aus Süddeutsche.de, 03.01.2017

 Warum ist Körperbehaarung bei Frauen immer noch ein Tabu?
...haben wir die Koryphäe der deutschen Ästhetik-Forschung gefragt. 

Interview von Eva Fritsch 

Heute sollte jeder so aussehen können, wie er selbst möchte. Bei Körperhaaren sind wir aber immer noch schnell angeekelt. Warum das so ist und was das mit Gehirnwäsche durch Bilder von Models zu tun hat, erklärt Winfried Menninghaus, Direktor der Abteilung Sprache und Literatur des Max-Planck-Instituts für empirische Ästhetik.

Herr Menninghaus, Frauen rasieren sich mittlerweile überall. Wie ist es dazu gekommen? 

Winfried Menninghaus: Ein erster Grund für den heutigen Trend ist, dass die westliche, moderne Mode viel Haut an Armen und Beinen sehen läßt. Ein weiterer ist, daß die Vermessung und Bewertung des Körpers auf einen neuen Höhepunkt getrieben worden ist. Und nicht zuletzt hat die Schönheitsindustrie großes Interesse daran, alle nur möglichen Merkmale als Schönheitsmakel zu identifizieren, für die sie dann kostenpflichtige Abhilfe anbietet.

Nicht-Rasur von Körperhaaren gilt mittlerweile fast schon als gesellschaftlich inakzeptabel. Dabei gibt es aber Unterschiede zwischen Männern und Frauen, zum Beispiel was die Beinbehaarung angeht. Woran liegt das?

Charles Darwins Theorie sexueller Körper-„Ornamente“ bietet eine interessante Perspektive auf dieses Phänomen an. Für Darwin ist nackte Haut ein Ganzkörper-Ornament, das beim Menschen durch selektive "Abwahl" der Behaarung der nicht-menschlichen Primaten entstanden ist. Die unbehaarten Analgenital-Bereiche der Affen sind ihm zufolge Signale in der sexuellen Kommunikation. Beim Menschen – und insbesondere bei der menschlichen  Frau – wurden diese heißen Zonen sozusagen zu einem erogenen Ganzkörperornament ausgedehnt. Es passt zu Darwins Theorie, dass diese sexuell heiße Enthaarung bei den Geschlechtern unterschiedlich ausgeprägt ist und dass sich diese Unterschiede am stärksten in der Phase der sexuellen Reifung (Pubertät) ausbilden. Die sexuelle Selektion hat der weitergehenden Körperenthaarung bei Frauen insofern einen sexuellen Signalwert gegeben. Deshalb stehen Frauen in Sachen Enthaarung schon evolutionsbedingt unter größerem Druck.

Beine werden schon länger rasiert. Seit einigen Jahren ist es auch mit der Intimbehaarung so. Dabei kann man das ja zum Beispiel selbst in knapper Kleidung nicht sehen. 

Das Behaarungsdreieck der Scham ist eigentlich ein Ornament. Da es dieses auffällige Phänomen bei nicht-menschlichen Primaten nicht gibt, spricht einiges dafür, daß es einen Selektionsdruck zugunsten dieses Ornaments der Behaarung auf einem ansonsten weitgehend enthaarten Hintergrund und keineswegs dagegen gab. Insofern ist es umso verwunderlicher – und nur durch rein kulturelle Moden erklärbar –, dass dieser Körperschmuck seit 40 oder 50 Jahren immer mehr wie ein peinlicher Makel wegrasiert wird. Noch in den 1970er wäre niemand auf die Idee gekommen, diese Behaarung als unattraktiv zu empfinden, im Gegenteil. Andererseits erfreuen sich komplementär zwei andere durch die Evolution entstandene und sexuell codierte Behaarungsornamente heute besonders großer Beliebtheit: der männliche Bart und das weibliche Haupthaar.


Ist es deshalb auch so schwierig, dem Enthaarungsdrang zu widerstehen, wie es ja zum Beispiel Feministinnen immer wieder propagiert haben? Weil wir Angst haben, dass sich dann niemand mehr mit uns paaren will?

Ich denke, da gibt es zwei Seiten: Zum einen stylen Frauen wie Männer sich heute immer mehr, um sich selbst zu gefallen. Dabei gibt es allerdings eine gefährliche Falle: Das Bild, mit dem man sich vergleicht, ist das, was man in den Medien vorgezeichnet bekommt, also ein extrem künstlicher Standard, dem man nie genügen kann. Zum anderen ist Selbstgefallen natürlich grundsätzlich mit der Erwartung verknüpft, man würde auch anderen besser gefallen - und somit bessere Chancen bei der Partnerwahl haben, wenn man sich zum Beispiel die Haare an den Beinen entfernt.

Also sind die Bilder, die von den Medien transportiert werden und mit denen wir uns vergleichen, schuld an allem? 

Wiederholtes Ansehen steigert in der Regel ästhetisches Gefallen. Dieser "mere exposure-Effekt" ist eine Grunderkenntnis der Ästhetik. Die pausenlose Konfrontation mit Bildern von Models in allen möglichen Medien ist deshalb wie Gehirnwäsche. Heute sind die Ikonen der Schönheit hochgradig unrealistische, artifiziell aufbereitete Bilder. Vor der Erfindung von Fotographie und Druck war das anders: Man sah hauptsächlich die Menschen, die man persönlich kannte. Durch sie wurde das Schönheitsbild geformt. Die waren natürlich weniger unrealistisch als die Bilder, die uns heute die Medien vermitteln.

Was genau ist daran das Problem?

Die Kluft zwischen dem eigenen Aussehen und dem angestrebten Ideal wird dadurch sehr viel größer. Vor allem junge Menschen haben beinahe notwendigerweise das Gefühl, diesen Bildern nicht gerecht zu werden. Das ist ein ungebremster Trend und ein großes Problem unserer Gesellschaft.

Aber gab es nicht schon immer bestimmte Vorstellungen vom Traumkörper und vom perfekten Aussehen? Wie sie bereits sagten, war es ja in den 70er Jahren attraktiv, eine natürliche Behaarung zu haben.

Ja, jede Generation unterliegt sich kulturell wandelnden Schönheitsidealen, aber unser aktueller Standard ist besonders unbarmherzig. Die Menschen sind nichts anderes als Check-Listen: Was passt, was passt nicht? Der ewige Vergleich mit unerreichbaren Vorbildern ist ein trauriges Schicksal.

Gibt es bei dieser düsteren Aussicht dann überhaupt noch ein Mittel gegen den Schönheitswahn? Zum Beispiel Klamotten, die weniger körperbetont sind?

Momentan sehe ich wenig Grund zur Hoffnung, dass es besser wird. Die Politik hat ziemlich versagt. Das Problem wird zwar gelegentlich benannt, aber Ansätze zu einem Gegensteuern gibt es weit und breit nicht. Junge Menschen werden sich selbst überlassen und oft krank angesichts der empfundenen Diskrepanz zwischen eigenem Aussehen und Model-Bildern. Es ist unsere Pflicht, das zu ändern. Das Thema gehört bereits in den Schulunterricht. Und wie bei Zigaretten sollte es eine Steuer auf Bilder in den Medien geben, die viele heutige Zeitgenossen letztlich krank machen. Aus den Einnahmen könnten die notwendigen Therapien bezahlt werden.

Sonntag, 22. Januar 2017

Lassen sich Männer leichter erregen?


 aus scinexx

Warum einige Infekte bei Männern schlimmer sind
Manche Erreger schonen Frauen – weil diese oft die besseren Überträger sind

Mehr als nur "Männergrippe": Einige Infekte treffen Männer tatsächlich schwerer – aber warum? Eine ungewöhnliche Erklärung dafür liefern nun britische Forscher. Demnach ist es für die Erreger manchmal schlicht vorteilhafter, wenn sie Frauen verschonen. Der Grund: Diese sind oft die besseren Überträger. Zusätzlich zur normalen Ansteckung geben sie Bakterien und Viren auch bei Geburt und Stillen an den Nachwuchs weiter, so die Forscher im Fachmagazin "Nature Communications". 

Mediziner beobachten schon länger, dass einige Infektionen bei Männern schwerer verlaufen als bei Frauen. Männer, die mit Tuberkulose infiziert sind, sterben beispielsweise rund eineinhalb Mal häufiger daran. In Mund und Rachen verursacht das Humane Papillom Virus (HPV) bei Männern fünfmal häufiger Krebs als bei Frauen und eine Infektion mit dem Eppstein-Barr-Virus führt beim männlichen Geschlecht doppelt so häufig zu einem Hodgkin Lymphom.

Hormone allein erklären dies nicht

Aber warum? "Die gängige Theorie geht davon aus, dass die Wechselwirkung der Geschlechtshormone mit dem Immunsystem Männer anfälliger für Krankheitserreger macht als Frauen", erklären Francisco Ubeda und Vincent Jansen von der Royal Holloway University of London. Tatsächlich scheinen die weiblichen Hormone Frauen eine aktivere Abwehr zu verleihen – teilweise so aktiv, dass sie häufiger unter Autoimmunerkrankungen leiden.

Das Problem dabei: "Dieser Effekt kann zwar einige der beobachteten Geschlechtsunterschiede erklären, aber er allein liefert noch keine ausreichende Antwort", so die Forscher. So lässt sich beispielsweise nicht erklären, warum die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei Infektionen nicht schon direkt nach der Pubertät auftreten, sondern erst rund ein Jahrzehnt später.

Infektion aus Erregersicht

Was aber ist dann der Grund? Um das herauszufinden, wählten Ubeda und Jansen einen ungewöhnlichen Weg: Sie versetzen sich kurzerhand in die Krankheitserreger hinein. Ihre Frage dabei: Welche Vorteile hat es für das Virus oder Bakterium, wenn es Frauen länger am Leben lässt oder bei ihnen schwächere Symptome auslöst?


Aus Sicht der Tuberkulose-Erreger bieten Frauen ihnen mehr Übertragungswege.
Dem Tuberkulose-Erreger bieten Frauen mehr Übertragungswege.
Die Wissenschaftler entwickelten dafür ein epidemiologisches Modell der Infektion und Übertragung bei Männern und Frauen. Dieses berücksichtigt die Balance, die ein Erreger halten muss: Lässt er seinen Wirt zu schnell sterben, kann er sich vorher möglicherweise nicht ausreichend übertragen. Ist er aber nicht aggressiv genug, dünnt ihn das Immunsystem möglicherweise so stark aus, dass die Ansteckung anderer ebenfalls unwahrscheinlich wird.

Zusätzlicher Übertragungsweg

Für Bakterien und Viren besteht dabei ein entscheidender Unterschied zwischen Männern und Frauen, wie die Forscher entdeckten: Befällt der Erreger einen Mann, kann er andere nur über horizontalen Transfer anstecken – beispielsweise durch Anhusten, Sex oder andere Überragungswege. Anders dagegen bei einer Frau im gebärfähigen Alter: Sie kann einen Erreger auch bei der Geburt und beim Stillen an ihren Nachwuchs weitergeben.

Und genau dies könnte auch die milderen Verläufe einiger Infekte bei Frauen erklären: "Für das Pathogen macht diese zusätzliche Übertragungsroute das Leben von Wirten wertvoller, die den vertikalen Transfer erlauben", so Ubeda und Jansen. Für den Erreger ist es demnach kontraproduktiv, eine Frau zu töten, bevor diese Kinder bekommen hat und damit dem Erreger zusätzliche Übertragungswege eröffnet.

Konkret bedeutet dies: Infektionen, die ohnehin nur horizontal übertragen werden, müssten beide Geschlechter gleich treffen. Beispiele dafür sind Grippe oder Erkältungen, bei denen dies tatsächlich der Fall scheint. Krankheiten, die dagegen zusätzlich vertikal weitergegeben werden, müssten bei Frauen milder verlaufen.


Das Virus HTLV-1 triofft in Japan Männer härter als Frauen, in der Karibik dagegen nicht.
Das Virus HTLV-1 trifft in Japan Männer härter als Frauen, in der Karibik dagegen nicht.
HTLV-1 Virus als Testfall

Ob das der Fall ist, überprüften die Forscher am Beispiel des HTLV-1-Virus, einem Erreger, der beim Menschen adulte T-Zell-Leukämie (ATL) verursachen kann. Dieses Virus ist vor allem in der Karibik und in Japan stark verbreitet. Der entscheidende Unterschied: In der Karibik wird der Erreger fast ausschließlich durch Sex übertragen – also horizontal. In Japan jedoch infizieren sich viele Menschen schon als Kind durch das Stillen und damit durch vertikalen Transfer.

Stimmt die Theorie, müsste das Virus in der Karibik bei beiden Geschlechtern gleich häufig zu Leukämie führen, in Japan dagegen wäre ein schwerer Verlauf bei Männern häufiger. Und tatsächlich: "Japanische Männer, die sich mit HTLV-1 angesteckt haben, entwickeln zwischen 2 und 3,5 Mal häufiger Leukämie als Frauen", berichten die Wissenschaftler. In der Karibik gebe es solche Unterschiede dagegen nicht.

Nach Ansicht der Forscher belegen Modell und Beispielfall, dass Hormone nicht der einzige Grund sind, warum Männer bei einigen Infektionen schwerer erkranken als Frauen. "Stattdessen bewegen wir uns in der Debatte weg vom rein wirtszentrierten Blick hin zu einer Perspektive, die die Sicht des Pathogens einbezieht", konstatieren Ubeda und Jansen. Diese Erweiterung der Perspektive könnte auch dazu beitragen, neue Behandlungsalternativen zu finden. (Nature Communications, 2016; doi: 10.1038/ncomms13849)

(Nature, 14.12.2016 - NPO)

Nota. -  Dacht' ich's doch: Das Weib ist dem Bösen als Miterregerin dienlich und sympathisch. Sie liegen einander nahe.
JE


fengel
aus Die Presse, Wien, 14.12.2016 | 06:49 | 

Warum Viren zu Männern bösartiger sind. 
Frauen haben mehr Möglichkeiten, Krankheitserreger weiterzugeben. Deshalb kann es für Viren von Vorteil sein, wenn die von ihnen befallenen Frauen länger leben.

 

Unter den Viren, die Krebs auslösen können, ist ein Retrovirus namens HTLV-1: Eine Infektion mit ihm kann in einer Form von Leukämie münden. Seltsamerweise in Japan deutlich häufiger (zwei- bis dreieinhalbmal so oft) bei Männern als bei Frauen – in der Karibik dagegen ist die Wahrscheinlichkeit, dass aus der HTLV-1-Infektion Leukämie entsteht, bei den Geschlechtern gleich groß.

Wie kann das sein? Und wie kann man die Beobachtung erklären, dass manche Vireninfektionen bei Frauen harmloser verlaufen? Es wurde oft versucht, das durch Unterschiede im Immunsystem – das bei Männern ja durch Testosteron chronisch geschwächt ist – zu begründen. Francisco Úbeda von der Royal Holloway University of London schlägt in Nature Communications (13. 12.) eine andere, faszinierende, aus einem mathematischen Modell abgeleitete Antwort vor: Es liege daran, dass es für die Viren nicht egal ist, welchen Geschlechts das Wesen ist, in dem sie ihr Unwesen treiben.

Frauen – und wohl allgemein: weibliche Tiere – haben für Viren den großen Vorteil, dass sie ihnen bessere Möglichkeiten der Übertragung bieten: nämlich auf ihre Kinder. Etwa wenn sie diese, wie bei Säugetieren üblich, in ihrem Uterus heranwachsen lassen und dann an ihrer Brust nähren.

Das heißt für das Virus, das es für es von Vorteil ist, wenn die von ihm befallene Frau länger lebt und länger Zeit hat, es an ihre Kinder weiterzugeben. Anders gesagt: Die Viren, die den Frauen weniger Schaden zufügen, leben selbst länger (wenn man bei Viren von Leben reden darf) und vermehren sich besser. Noch anders gesagt: Die natürliche Selektion bevorzugt Viren, die die von ihnen befallenen Frauen schonender behandeln.

Das Prinzip „Survival of the Fittest“ gelte eben auch für Viren, erklärt Úbeda: „Es ist sehr wahrscheinlich, dass dieses geschlechtsspezifische Verhalten auch bei vielen anderen Pathogenen vorkommt. Das ist ein exzellentes Beispiel dafür, wie nützlich eine evolutionäre Erklärung in der Medizin sein kann.“

Tendenz zu geringerer Virulenz

Ähnlich lässt sich z. B. erklären, warum Schnupfen meist so harmlos bleibt: Für die Schnupfenviren ist es wichtig, dass die von ihnen befallenen Menschen mobil bleiben, damit sie auf die Straße gehen können, wo sie andere Menschen anstecken können. Überhaupt tendieren Viren dazu, allmählich weniger virulent zu werden. Das gilt auch für das HI-Virus, so gibt es Hinweise darauf, dass bei Aids die Zeit von der Ansteckung bis zum Ausbruch tendenziell wächst. Auch das erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Weitergabe: für das Virus ein Selektionsvorteil.

Und wie erklärt man den Unterschied zwischen Japan und der Karibik? Laut Úbeda damit, dass japanische Frauen ihre Kinder öfter und länger stillen als karibische.


Nota. - Da rätseln sie noch, warum Frauen länger leben als Männer. Es ist das Florians-Prinzip: Lieber heil'ger Florian, verschon mein Haus, zünd' andre an! 

Merke: Weitergeben ist gelegentlich seliger als behalten; je öfter, desto schöner.
JE




Samstag, 21. Januar 2017

Männer lassen sich leichter ablenken.


 aus scinexx

Musik lenkt Männer stärker ab
Hardrock beeinträchtigt Männer bei Geschicklichkeitsspielen - Frauen aber nicht 

Männer als störanfälligeres Geschlecht? Wenn es bei einem Spiel auf Geschick und Konzentration ankommt, sollten Männer dabei lieber keinen Hardrock hören. Denn wie ein Experiment belegt, machen sie dann deutlich mehr Fehler als ohne Musik oder bei Mozartklängen. Spannend auch: Frauen scheinen immun gegen den Störeffekt der Rockmusik. Sie schnitten bei jeder Beschallung gleich gut ab.


Gerade bei Jugendlichen geht es oft kaum ohne Musik: Ob beim Spielen, beim Lernen oder beim Stadtbummel: Die Lieblingssongs sind immer mit dabei. Überraschenderweise ergab schon vor einigen Jahren eine Studie, dass diese Berieselung selbst beim Lernen kein Problem für Schulkinder ist – ihre Lernfähigkeit wird dadurch nicht beeinträchtigt. Ob dies auch für Erwachsene und für andere Situationen gilt, ist dagegen weniger klar.

Organentnahme bei "Sam"

Wie sehr beeinflusst uns beispielsweise Musik, wenn es um Geschicklichkeit und Konzentration geht? Um das herauszufinden, haben Daisy Fancourt vom Imperial College London und ihre Kollegen 352 Besucher eines Festivals auf die Probe gestellt. Aufgabe war es, das Spiel "Cavity Sam" zu bewältigen.

Bei diesem Spiel geht es darum, einem gemalten "Patienten" mit einer Pinzette durch enge Löcher einige seiner "Organe" zu entnehmen. Stößt man an die Lochränder, ertönt ein Signal und diese Ungeschicklichkeit wird als Fehler gewertet. Die Forscher maßen, wie viel Zeit und Fehler die Teilnehmer benötigten, um "Sam" drei Organe zu entnehmen.

Der Clou dabei: Per Kopfhörer hörten die Probanden dabei entweder ein Stück von AC/DC, von Mozart oder aber die Geräuschkulisse eines Operationssaales.

Störeffekt nur bei Männern

Das überraschende Ergebnis: Bei den Männern spielt es eine Rolle, welche Musik sie beim Spiel hörten – bei den Frauen aber nicht. Ertönte ASC/DC aus dem Kopfhörer, brauchten die männlichen Probanden länger für ihre "Organentnahmen" und machten zudem mehr Fehler. Hörten sie dagegen Mozart oder OP-Geräusche, blieben sie konzentrierter und schnitten besser ab.

Im Experiment galt es, diesem "Patienten" mittels Pinzette berührungsfrei "Organe" zu entnehmen.
Im Experiment galt es, diesem "Patienten" mittels Pinzette berührungsfrei "Organe" zu entnehmen.
Anders bei den Frauen: Sie benötigten zwar insgesamt mehr Zeit für ihre Aufgabe, machten aber im Durchschnitt dafür weniger Fehler. Insgesamt "überlebte" ihr Patient daher häufiger als bei den männlichen Probanden. Ob die Frauen beim Spielen Musik hörten und welche, beeinflusste ihr Abschneiden dabei erstaunlicherweise nicht, wie die Forscher berichten.

Anfälliger für akustischen Stress?

Dass Hardrock ablenkender wirkt als eine klassische Sonate ist noch relativ gut erklärlich: Schon der schnellere und stärker ausgeprägte Rhythmus des AC/DC-Stücks könnte für den größeren Störeffekt sorgen. Warum aber Frauen für diese Störungen überhaupt nicht anfällig scheinen, ist auch Fancourt und ihren Kollegen vorerst ein Rätsel.

Möglicherweise, so vermuten die Forscher, sind Männer anfälliger für akustische Störungen als Frauen. Die Rockmusik könnte bei ihnen mehr Stress auslösen und daher die Konzentration stärker beeinträchtigen. Ob diese Hypothese stimmt, müssten nun weitere Studien überprüfen, beispielsweise mit Hilfe von Hirnscannern.

Musik im OP – hilfreich oder störend?

Relevant sind diese Ergebnisse jedoch für weit mehr als nur unsere Freizeit. "Diese Studie ist Teil unserer Forschung zum Einfluss von Musik auf Leistungen im medizinischen Kontext, beispielsweise im Operationssaal", erklärt Fancourt. Berichten von Medizinern zufolge läuft in vielen OPs Musik – immerhin in bis zu 72 Prozent der Zeit.

Ob diese Musik die Arbeit der Chirurgen und Anästhesisten beflügelt oder eher hemmt, ist bisher strittig. Einige Studien haben festgestellt, dass Hiphop oder Reggae das Tempo und das Geschick der Operateure sogar fördern kann. Andere ergaben, dass Musik bei jedem vierten Narkosearzt die Wachsamkeit beeinträchtigt. Glaubt man den Ergebnissen des Spielexperiments, wäre es wohl auf jeden Fall günstiger, wenn im OP Mozart statt Hardrock läuft. (Medical Journal of Australia, 2016; doi: 10.5694/mja16.01045)

(Imperial College London, 28.12.2016 - NPO) 


Nota. - Das wirft ein Licht auf das nicht verstummende Gerücht, Frauen falle es leichter als Männern, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun. Das passt zusammen: Frauen könnten ihre Aufmerksamkeit teilen, während Männer sich nur auf eines konzentrieren können - oder gar nicht. Pointierter gesagt: Männer können sich konzentrieren; Frauen weniger.

Auch, dass Männer nicht zuhören können, würde dazu passen. Sie müssten sich konzentrieren, das erfordert Kraft, doch das, was mann zu hören bekommt, lohnt den Aufwand nicht immer.

Nota II. - Jetzt in gerechterER Sprache: Das Experiment beweist gar nichts außer, dass Hard Rock und Heavy Metal tiefer ins männliche Gemüt dringen als ins weibliche. Das hätte man sich denken können. Wenn man sucht, wird man bestimmt eine Musik finden, bei der auch Frauen nicht mehr multitasken können; ich wage nicht zu raten, welche.. 
JE

Donnerstag, 19. Januar 2017

Wieso gibt es überhaupt zwei Geschlechter?

Cranach d. Ä.
aus Die Presse. Wien,

Warum Sex? Und warum dafür eigene Zellen? 
Die Reproduktionsweise der höheren Tiere wehrt zweierlei ab: Parasiten von außen und Mutationen innen.

 

Dass es Sex gibt, ist eines der großen Mysterien der Biologie. Nun kommt ein zweites, verwandtes hinzu: Warum haben höhere Tiere spezialisierte Zellen für Sex, niedere Tiere und Pflanzen aber nicht? Sexuelle Reproduktion ganz generell ist verschwenderisch: Nur die halbe Population kann sich fortpflanzen. Bei Lebewesen, die sich asexuell reproduzieren, können das alle. Sex ist also teuer, er muss große Vorteile mit sich bringen.

Welche? Es gibt nur Hypothesen, Dutzende, man hat sie in drei Gruppen geordnet: „The good, the bad and the ugly.“ Das potenzielle Gute ist die Vielfalt durch die Kombination von zwei Gensätzen, beim Bösen geht es auch um die Kombination, sie soll verderbliche Mutationen wegschaffen. Und das Hässliche? Das sind Parasiten, zu ihrer Abwehr müssen Genome ständig geändert werden.

Bestätigung für diesen Rüstungswettlauf hat Stuart Auld (Stirling) gefunden, an Wasserflöhen. Sie können beides, sich sexuell und asexuell mehren, in jedem Fall sind sie von einem Bakterium bedroht, das sie steril macht. Das wird von sexuell produziertem Nachwuchs viel besser abgewehrt, Auld hat es experimentell gezeigt (Proc. Roy. Soc. B, 21. 12.).

Trennung von Soma und Keimbahn

Kein Experiment kann erhellen, warum höhere Tiere – und wir auch – für die Reproduktion besondere Zellen haben, die der Keimbahn (Eizellen, Sperma). Wir bringen sie mit, wenn wir geboren werden, Frauen haben dann alle Eizellen, Männer die Vorläufer der Spermien. Alle sind strikt getrennt von den übrigen Körperzellen, denen des Somas. Bei Pflanzen und niederen Tieren, Korallen etwa, ist es anders: Auch sie mehren sich sexuell, haben aber keine Zellen auf Vorrat, sondern wandeln bei Bedarf Soma- in Keimbahnzellen um.

Warum ist es bei uns anders? Auch hier gibt es nur Hypothesen, nun kommt eine neue: Es geht darum, dass ein Teil des Genoms vor Mutationen geschützt wird, das mitochondriale (mt). Das ist winzig im Vergleich zu jenem im Zellkern, es ist aber lebensnotwendig, von ihm kommen die Kraftwerke der Zellen. Und es teilt sich viel öfter als das Kerngenom, die Mutationsgefahr ist größer. Deshalb wird alles stillgestellt, in den Eizellen. Beim Sperma ist es anders, es wird immer wieder produziert, mit Mutationsrisiko (nur die Vorläuferzellen sind gleich).

Aber mt-DNA aus Sperma kommt nicht in befruchtete Eizellen, sie haben Mitochondrien nur von der Mutter. Das ist einer der Hinweise, die Nick Lane (London) zusammengetragen hat (PLoS Biology, 20. 12.): Für ihn kam die Trennung von Soma und Keimbahn in der kambrischen Explosion vor 550 Millionen Jahren, sie brachte bewegliche Tiere. Sie brauchten mehr Energie, also mehr Mitochondrien, das erhöhte das Mutationsrisiko: „Um es zu vermeiden, wurde eine spezialisierte Keimbahn abgesondert.“


Nota. - Bei uns ist es so: Das Weibliche ist die Norm, das Männliche ist die Variante; das Weibliche ist der Grundstock, das Männliche ist der Pfropf, das Weibliche die Pflicht, das Männliche die Kür. Aber erst im Tierreich ist das so, am Ursprung des Animalischen steht die Auslese der Weiblichkeit als Träger des mitochondrialen Genoms, und als solcher muss sie besonders geschützt werden. Wieviel Nachfahren das Weib in die Welt setzen kann, steht von Anbeginn fest, mit dem Vorrat, den sie mitbekommen hat, muss sie haushalten ein Leben lang. 
JE


Freitag, 13. Januar 2017

Warum werden Menschenfrauen so früh unfruchtbar?

Mother-daughter competition in orcas may explain menopause
aus Süddeutsche.de,

Warum werden Frauen früh unfruchtbar? 
Aus Sicht der Evolution ist es wenig sinnvoll, dass Frauen nur bis zur Hälfte ihres Lebens Kinder bekommen können. Ein Blick auf Killerwale aber zeigt: Die Menopause bewahrt sie vor Konflikten.  

Von Kai Kupferschmidt
 
Für die meisten Menschen sind Großmütter ein Geschenk des Himmels, doch für Biologen sind sie ein Problem: Warum werden Frauen schon mit 50 Jahren unfruchtbar, wenn sie doch noch Jahrzehnte weiterleben? Im Wettlauf der Gene hat derjenige einen Vorsprung, der die meisten Kopien ins Rennen schickt.

Da scheint die beste Strategie für Weibchen klar zu sein: Nachfahren zeugen bis zum Lebensende. Die meisten Tiere machen das, doch nicht der Mensch. Warum? Nun glauben Wissenschaftler herausgefunden zu haben, woher die Güte der Großmütter stammt - ausgerechnet durch eine Studie an Killerwalen.

Vermutlich sind ältere Mütter nicht so motiviert im Konkurrenzkampf

Der britische Forscher Michael Cant von der Universität Exeter und seine Kollegen haben bei Orcas nachgeforscht, weil das Muster ihrer Fortpflanzung dem des Menschen ähnelt: Die Tiere können bis zu 100 Jahre leben, doch sobald die Weibchen etwa 40 Jahre alt sind, bekommen sie keinen Nachwuchs mehr. Einen Grund dafür präsentieren die Forscher im Fachblatt Current Biology: Wenn alte und junge Weibchen in einer Gruppe gleichzeitig Nachfahren haben, dann konkurrieren die Kälber um Ressourcen - und die Kinder der älteren Weibchen ziehen dabei den Kürzeren.

Von 1973 bis 2015 hatten Wissenschaftler an der Küste Nordamerikas genau Buch geführt über Geburten und Todesfälle in zwei Killerwalpopulationen. Die Kälber älterer Weibchen hatten deutlich schlechtere Chancen, ihren 15. Geburtstag zu erleben, wenn in der Gruppe auch jüngere Weibchen Junge bekamen. Vermutlich sind die älteren Mütter einfach nicht so motiviert im Konkurrenzkampf, sagt Cant. Die Forscher gehen davon aus, dass jüngere Weibchen bereit sind, rücksichtsloser für ihre Kinder zu kämpfen als ältere.

Beim Menschen flüchteten sich viele Forscher in ein Lob der Großmutter, um das Mysterium der Menopause zu erklären: Ältere Frauen, die selbst keine Nachkommen mehr zeugen, könnten sich ja um ihre Enkelkinder kümmern und deren Überlebenschancen verbessern. Allerdings gibt es Zweifel daran, dass diese Strategie evolutionär von Vorteil ist. Denn wenn es darum geht, wie effizient Frauen ihre Gene weitergeben, dann wäre es besser, wenn sie auch im Alter noch eigene Nachkommen auf die Welt bringen - diese tragen schließlich zur Hälfte die Gene der Mutter, Enkel nur zu einem Viertel.

Lob für die Großmutter - und für die Schwiegermutter

Wenn der eigene Nachwuchs älterer Frauen aber ohnehin schlechtere Chancen hat zu überleben, so wie bei den Orcas auch, dann könnte das zusammen mit der Großmutter-Fürsorge ausreichen, um die Evolution der Menopause zu erklären. Dabei spielt auch das Sozialverhalten eine Rolle: Vieles deutet darauf hin, dass in der Vorgeschichte des Menschen schwangere Frauen in die soziale Gruppe ihres Partners wechselten.

Wie die jungen Killerwalweibchen waren sie also mit der neuen Gruppe nicht verwandt und somit weniger gehemmt im Kampf um Ressourcen für ihr Kind. Die Schwiegermutter dagegen wäre in einem Dilemma, würde sie auch im fortgeschrittenen Alter noch Kinder bekommen - sie müsste auf ihren eigenen Nachwuchs achten und auf die Enkel. Die Menopause befreit sie aus diesem Konflikt. Neben dem Lob der Großmutter wäre es also auch Zeit für ein Lob der Schwiegermutter.


Montag, 9. Januar 2017

„Die Biologie ist einfach unterschiedlich.“

 Soeben von Fachjournalisten als Wissenschafterin der Jahres ausgezeichnet: Alexandra Kautzky-Willer, geboren 1962 in Wien, Professorin für Gendermedizin an der medizinischen Universität Wien, hier vor Wachsmodellen im Wiener Josephinum.
aus Die Presse, Wien, Alexandra Kautzky-Willer

Wissenschafterin des Jahres: 
Der (nicht so) kleine Unterschied 
Die Gendermedizin erforscht Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Alexandra Kautzky-Willer ist prominente Vertreterin dieses Faches.
 

In den sogenannten Gender Studies ist es derzeit bei manchen Geistes- und Sozialwissenschaftlern, vor allem in der Schule Judith Butlers, en vogue, möglichst alle Differenzen zwischen den beiden Geschlechtern als kulturell konstruiert zu erklären. Anders in der Gendermedizin: Dieses Fach befasst sich spezifisch mit den Unterschieden zwischen Männern und Frauen. Diese sind zwar in Wechselwirkung mit kulturellen Faktoren, finden sich aber „in allen Organen, auch in der Ebene der Zellen“, wie Alexandra Kautzky-Willer erklärt: „Die Biologie ist einfach unterschiedlich.“ Viele Unterschiede liegen an den Hormonen, und zwar nicht nur an den eigentlichen Sexualhormonen, auch Insulin und Glukagon wirken bei Frauen und Männern unterschiedlich. 

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Das erklärt etwa, wieso Typ-2-Diabetes bei Frauen oft zu spät erkannt wird. Kautzky-Willer, die auf die Volkskrankheiten Adipositas (Fettleibigkeit) und Diabetes spezialisiert ist, plädiert vehement für Zuckerbelastungstests, besonders bei Schwangeren. Auch bei den Wirkungen – und Nebenwirkungen! – von Medikamenten kennt man beträchtliche Geschlechterunterschiede, die Arzneimittelforschung ist oft noch auf Männer ausgerichtet. Sie glaube nicht, dass es in Zukunft „eine rote und eine hellblaue Pille“ geben werde, sagte Kautzky-Willer in einem Interview mit der APA, „doch im Beipacktext wird es Hinweise geben, welche Nebenwirkungen häufiger bei Frauen zu erwarten sind“.

Berücksichtigung der Geschlechterunterschiede in der Medizin kann natürlich auch die Männer betreffen. So meint Kautzky-Willer, dass man diesen schon früher – mit 45 – zur Darmspiegelung raten solle. Benachteiligt seien Männer bei der Diagnose von Depressionen: Für sie typische Symptome – Unruhe etwa – stehen noch nicht im Katalog. Immerhin begehen dreimal so viele Männer wie Frauen Selbstmord. Auch Osteoporose werde bei Männern oft übersehen, eben weil sie bei ihnen seltener als bei Frauen (vor allem nach dem Wechsel) ist.

Ein, zwei Jahre Differenz bleiben

Ein auffälliger Unterschied zwischen Frauen und Männern ist, dass diese in fast allen Ländern im Durchschnitt kürzer leben, in Österreich z. B. circa um sechs Jahre. Würde optimale geschlechtsspezifische Behandlung diesen Unterschied verringern? Schon, meint Kautzky-Willer, aber eine Differenz von ein bis zwei Jahren werde wohl bleiben, das liege wahrscheinlich an den Unterschieden bei der Fortpflanzung. Interessant sind hier Klosterstudien: Mönchen bringt offenbar ihre Lebensweise – die sich wohl in niedrigerem Testosteronspiegel auswirkt – deutlich mehr Lebensjahre, bei Nonnen ist der Unterschied zu anderen Frauen viel geringer.

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Alexandra Kautzky-Willer ist Tochter eines Lehrerpaars, sowohl ihr Mann als auch ihr Sohn sind ebenfalls Mediziner. Habilitiert hat sie sich 1997 mit einer Arbeit über Insulin für das Fach Innere Medizin, 2010 übernahm sie an der Uni Wien die erste Professorenstelle für Gendermedizin in Österreich. Als Hobby nennt sie die Zucht von Reptilien, wobei sie auch in der Beschäftigung mit Stachelschwanzwaranen und Bartagamen der Genderwissenschaft nicht ganz entkommt. Schließlich können diese Tiere über die Temperatur der Eier bestimmen, ob ihr Nachwuchs männlich oder weiblich wird.