Freitag, 3. Februar 2017

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aus Der Standard, Wien, 31. Jänner 2017

Das geschwächte Geschlecht:
Wann ist ein Mann ein Mann?
Ungesund, gewalttätig, anfällig für Rechtspopulismus: Männer leiden zunehmend unter einem Ideal, das Stärke und Härte voraussetzt. Zeit für eine Befreiung vom Klischee des starken Mannes

von Sebastian Fellner, Katharina Mittelstaedt  

Lukas und Johannes wickeln einen Waffendeal ab. Für eine stillschweigend vereinbarte Summe wechselt ein Maschinengewehr den Besitzer. Johannes bekommt das Gewehr und einen Cent Wechselgeld, dann steckt er die Waffe in die Hand einer kleinen Plastikfigur und platziert diese auf seiner Legoburg.

Die beiden Buben (sie heißen in Wirklichkeit anders) gehören zu den älteren Kindern in einem Wiener Kindergarten. Sie sind Teil einer Gruppe von fünf kleinen Baumeistern, die an diesem Vormittag gemeinsam an einer Plastikfestung arbeiten, die Mauern höher ziehen und mit ihren kleinen Händen fest auf die Legoplatten schlagen, um sie mit anderen zusammenzustecken.

Ein harter Mann.

Rebekka und Magdalena beschäftigen sich derweil mit Echsenpflege. Ihre beiden Spielzeugdinosaurier unterhalten sich miteinander – Magdalenas hat Probleme beim Feuerspeien, Rebekkas empfiehlt ihm dafür einen Zauberspruch.

Wer das Spiel der Kinder durch die Genderbrille betrachtet, sieht Klischees von Buben und Mädchen – die werden aber immer wieder auch aufgebrochen: Bis vor kurzem haben Rebekkas und Magdalenas Dinosaurier noch miteinander gekämpft, auch Buben sitzen leise am Tisch und basteln. Die Auswirkungen der Geschlechterrollen

Aber vorrangig sind es die Buben, die miteinander rangeln, lachend übereinander herfallen, etwas bauen und ihre Figuren in Zweikämpfe schicken; und es sind die Mädchen, die sich öfter still beschäftigen, malen oder sich in die Rolle ihrer Spielzeuge versetzen und sie sprechen lassen.

Diese Geschlechterunterschiede haben Auswirkungen. Statistisch betrachtet werden Lukas und Johannes früher sterben als Rebekka und Magdalena. Sie werden eher rauchen, ungesünder essen und seltener zu Vorsorgeuntersuchungen gehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie im Straßenverkehr umkommen oder sich selbst töten, ist deutlich höher als bei Mädchen. Lukas und Johannes werden auch eher von einem Strafgericht verurteilt oder wegen häuslicher Gewalt von ihrer Wohnung weggewiesen. Und es ist wahrscheinlicher, dass sie später Rechtspopulisten wählen.

Krankheit, Gewalt, Populismus: Sind also Männer das Problem?

Die Weichen für die Entwicklung zum echten Mann werden jedenfalls schon früh gestellt. Meist bereits in jenem Moment, in dem am Ultraschallbild ein kleiner Penis zu sehen ist. Dann werden oft blaue Bodys, Söckchen und Mützchen für das Ungeborene besorgt. "Kleinen Buben wird von Beginn an beigebracht, was sie tun sollen", sagt die polnische Soziologin Katarzyna Wojnicka, die an der Universität Göteborg Männlichkeitsforschung betreibt.

Mannwerden "ein zutiefst sozialer Prozess"

Es gebe aber nicht den einen Ort, wo Buben lernen, wie sie zum Mann werden, sagt Paul Scheibelhofer, Geschlechterforscher an der Universität Innsbruck. Vielmehr vermitteln Eltern, Gleichaltrige und Medien den kleinen Männern "ein bestimmtes Bild davon, was später von ihnen erwartet wird". Studien hätten gezeigt, "dass Buben und Mädchen schon als Babys unterschiedlich behandelt werden", sagt der Genderwissenschafter. So werden Buben etwa später getröstet, wenn sie weinen.

Später werden die Ideale auch durch Spielzeug vermittelt: "Spielzeuge für Buben sind oft auf Welterfoschung, Auseinandernehmen und Zusammenbauen fokussiert", sagt der Forscher. Unterbelichtet blieben dabei soziale Fähigkeiten, wie sie Mädchen etwa durch das Spielen mit Puppen lernen. Aber sind Männer nicht von Natur aus einfach anders? Scheibelhofer: "Zum Mann zu werden ist ein zutiefst sozialer Prozess." Das merke man schon daran, dass es "vor 200 Jahren etwas anderes bedeutet hat, ein Mann zu sein".

Toxische Männlichkeit

Doch wie sieht er heute aus, der ideale Mann? "Die Frage ist unmöglich zu beantworten", sagt Männerforscherin Wojnicka. Was als männlich gilt, definiere die Gruppe, in der man sich befinde. "Wenn dort traditionelle Männlichkeit relevant ist, geht es um Stärke, das Erhalten der Familie und Heterosexualität. Für andere Personen drückt sich Männlichkeit durch Verantwortungsbewusstsein aus oder dadurch, dass man ein liebevoller Vater ist", analysiert Wojnicka. Die "traditionelle Männlichkeit" – stark, berufstätig, heterosexuell – herrsche allerdings vor. Die Gruppe feministischer Männer wachse zwar, sei aber nach wie vor klein, schätzt Wojnicka.

Die Kombination der klassisch männlichen Eigenschaften trägt in feministischen Kreisen den Titel "Toxic Masculinity" (etwa: schädliche Männlichkeit). "Toxic Masculinity ist eine Spielart der vorherrschenden Männlichkeit, die mit ungesundem Verhalten traditioneller Männer einhergeht", sagt Wojnicka: Gewalt, aber auch hoher Alkoholkonsum und riskantes, angeberisches Verhalten wie die Teilnahme an Faustkämpfen oder Autorennen. "Es ist eine Art, Männlichkeit zu beweisen, die auch für die Männer selbst gefährlich ist."

Müssen Männer ihre Männlichkeit beweisen, ist das mitunter schmutzig, anstrengend – und gefährlich.

Allerdings sei die Mehrheit der Männer nicht gewalttätig, erinnert Wojnicka, sondern würde sogar eher Opfer von Gewalt – Gewalt, die von Geschlechtsgenossen ausgeht. "Die Mehrheit der Männer erfüllt die Ansprüche der vorherrschenden Männlichkeit nicht. Für viele ist das ein emotionales und soziales Problem."

Der gedrehte Gendergap in der Politik

Hinzu kommt: Frauen holen kontinuierlich auf. Sie machen inzwischen deutlich häufiger Matura – im Abschlussjahrgang 2015 betrug der Frauenanteil fast 58 Prozent. Frauen bilden die Mehrheit an Österreichs Universitäten, es gibt – auch wenn diese Entwicklung deutlich langsamer voranschreitet – immer mehr Professorinnen, Chefinnen, weibliche Vorstandsvorsitzende.

Die Angst vor der urbanen Frau mit hohem Bildungsgrad ist nur eine von mehreren Erklärungen dafür, warum Männer in der Wahlkabine ihr Kreuzerl deutlich häufiger bei rechten, ein traditionelles Familienbild propagierenden Parteien machen. Einen sogenannten "Gendergap" gab es zwischen dem Wahlverhalten der Österreicherinnen und Österreicher schon immer. Allerdings: Bis in die 1970er-Jahre waren es die Frauen, die konservativer wählten. Die damalige (etwas dürftige) Begründung, dass Frauen stärker unter dem Einfluss der Pfarrer stehen, lässt sich mangels Wahlmotivforschung heute weder belegen noch ausschließen.

Stadt und Land, Mann und Frau

Bei der Nationalratswahl 1975 schlug das Pendel erstmals um. Die SPÖ hatte Frauenpolitik gerade für sich entdeckt und war für die Fristenlösung bei Schwangerschaftsabbrüchen eingetreten. Rund 55 Prozent der Stimmen von Frauen entfielen damals auf die Sozialdemokraten. Ziemlich genau, seit Jörg Haider im Jahr 1986 die Macht in der FPÖ übernahm, gilt in Österreich: Frauen fühlen sich eher von urbanen Linksparteien angesprochen, wesentlich mehr Wähler als Wählerinnen folgen einem rechtspopulistischen und konservativen Kurs.

Christoph Hofinger vom Sozialforschungsinstitut Sora kennt die Gründe: "Viele Männer haben bis heute das höchste Haushaltseinkommen, sind damit eher in der Erhalterrolle und an niedrigen Steuern interessiert – während Frauen eher vom Sozialstaat abhängig sind", sagt er. Hinzu kommt: Je höher der formale Bildungsgrad, desto eher wird eine Wahlentscheidung links der Mitte getroffen. Außerdem ziehen Frauen verstärkt vom Land in Städte. "Während in einigen Wiener Innenstadtbezirken bereits wesentlich mehr junge Frauen als Männer leben, gibt es Gemeinden mit deutlichem Männerüberhang. Und in ländlichen Gebieten haben SPÖ und Grüne oft kaum Strukturen", erklärt Hofinger.

Der Sozialforscher ist zwar davon überzeugt, dass sich bei sozioökonomischer Gleichstellung von Mann und Frau auch die Unterschiede im Wahlverhalten "einebnen" würden. Doch: "Ich erwarte nicht, dass das in den nächsten 20 bis 30 Jahren passieren wird", sagt er. Außerdem seien Frauen für "radikale Rhetorik" grundsätzlich eher erst dann empfänglich, wenn sie "sehr verzweifelt sind". Das zeige sich auch historisch gesehen daran, dass sowohl NSDAP wie auch KPÖ zwischen den Weltkriegen eindeutig "männerdominiert" waren. Erst bei den letzten freien Wahlen in Österreich vor 1945, den Innsbrucker Gemeinderatswahlen im April 1933, stimmten beide Geschlechter zu mehr als 40 Prozent für die NSDAP.

Die erste Frauenministerin war ab 1991 die Sozialdemokratin Johanna Dohnal, heute eine Ikone der heimischen Frauenbewegung. Genau zehn Jahre später etablierte ein FPÖ-Politiker erstmals eine ministerielle Männerabteilung: Der damalige Sozialminister Herbert Haupt schuf 2001 in seinem Haus die Abteilung VI/6 für Männerangelegenheiten aller Art. "Das Sozialministerium wäre nicht vollständig, wenn es nach Abteilungen wie Gender-Mainstreaming, Jugend und Senioren nicht auch eine für Männer gibt", sagte Haupt damals. Die Opposition empörte sich, Haupt kümmere sich nicht um Ungleichbehandlung von Frauen, widme den "diskriminierten Männern" aber eine eigene Abteilung.

Friseurin und Automechaniker

16 Jahre später ist das Sozialministerium zwar wieder rot eingefärbt, die Männerabteilung gibt es aber immer noch. "Wir betreiben heute eine gleichstellungsorientierte Männerpolitik, und daran wird kaum Kritik geäußert", sagt Marc Pointecker, der als Leiter der Gruppe "Sozialpolitische Grundsatzfragen" auch der Männerabteilung vorsteht. Immerhin ziehe die Arbeit der Abteilung "am gleichen Strang wie die Frauenpolitik. Wenn wir Gleichstellung erreichen wollen, müssen wir bei beiden Geschlechtern ansetzen", sagt Pointecker.

Nach wie vor erlernten in Österreich etwa hauptsächlich Frauen den Beruf der Friseurin und hauptsächlich Männer den des Automechanikers. Das sei ein Problem, "weil die Talente nicht voll zur Entfaltung gebracht werden können – auf beiden Seiten". Gegensteuern soll hier das größte Projekt der Männerabteilung, der "Boys' Day" – einer Veranstaltung für Burschen, die ihnen den Einstieg in vermeintliche Frauenberufe schmackhaft machen soll, etwa Jobs in Pflege und Kindergartenpädagogik: "Das sind Berufe, die stark wachsen und die entgegen der allgemeinen Annahme großteils gar nicht so schlecht bezahlt sind", sagt Pointecker. Es ginge insgesamt darum, "das enge Korsett von Geschlechterrollen zu überwinden".

Harte Kerle mit weichem Kern

Wobei Mann nicht gleich Mann ist. Zwar profitieren Männer von Gender-Pay-Gap und der "gläsernen Decke", durch die sie leichter in Führungspositionen kommen. "Es gibt aber viele Männer am Rande der Gesellschaft – ohne Arbeit, Ausbildung und Zukunftsperspektiven, die von diesen Privilegien gar nichts haben – und die fühlen sich abgehängt", ist Pointecker überzeugt.

Außerdem: Selbst brutalste Kerle hätten eigentlich einen weichen Kern, ist Götz Eisenberg überzeugt. "Viele Gewalttäter sind sehr unsichere Menschen, auch in ihrer Männlichkeit stark verunsichert", sagt er. Der deutsche Sozialwissenschafter und Publizist arbeitete über Jahrzehnte als Psychologe in einem deutschen Hochsicherheitsgefängnis. Viele Männer glaubten, "dass sie diese Unsicherheit durch eine Rambo-artige Virilität überbauen können".

Angst vor zu viel Weiblichkeit

Das sei im Gefängnis besonders bei Beleidigungen zu beobachten, sagt Eisenberg. "Wenn da jemand zu einem anderen sagt: 'Du bist 'ne Muschi', ist das die ultimative Beleidigung. Das weibliche Geschlechtsmerkmal, einem Mann entgegengeschleudert, das ist natürlich krass." Wenn diese Beleidigung noch dazu vor Publikum passiert – also in der Dusche oder auf dem Sportplatz -, "dann gibt es im Grunde eine Verpflichtung des Beleidigten, darauf mit Gewalt zu reagieren." In seinen Gesprächen versuche Eisenberg den Insassen zu erklären: "Wenn ihr euch eurer Männlichkeit sicher wärt, dann würde euch das nicht jucken!"

Doch wovor haben Männer eigentlich Angst? "Viele fürchten insgeheim, dass zu viel Weibliches an ihnen ist", glaubt Eisenberg. Das rühre daher, dass Burschen sich als Kind bald von der Mutter als "erstes Liebesobjekt" distanzieren müssen. Gelingt das mangels männlichem Identifikationsmodell nicht, "versuchen sie diesen insgeheimen Zweifel an der eigenen Männlichkeit durch übertriebene Maskulinität zu vertreiben – durch Härte, rüdes Auftreten und Muskelpanzer".

Besonders in Einzelgesprächen mit Häftlingen artikuliere sich hinter der männlichen Fassade oft verborgene Schwäche. "Dann fließen häufig Tränen, und letztlich kommt ein kleines Kind zum Vorschein, das in der Regel ja selbst Opfer von Gewalt gewesen ist." In sich ruhende Männer Einen Schutz vor dieser Gewalt aus männlicher Unsicherheit gibt es laut Eisenberg: "Eine in sich ruhende, gelassene Form von männlicher Identität, die sich nicht ständig beweisen und auf der Lauer liegen muss, ob sie von irgendjemandem infrage gestellt wird".

Eine "in sich ruhende, gelassene Form von männlicher Identität" würde laut Gefängnispsychologe Götz Eisenberg vor Gewalt schützen.

Doch wo können sich Buben eine "in sich ruhende" Männlichkeit abschauen? Im Bildungsbereich sind Männer ja meist eine Ausnahmeerscheinung – je kleiner die Kinder, desto weniger männliche Pädagogen bekommen sie zu Gesicht. Auf neun Volksschullehrerinnen kommt in Österreich ein männlicher Pädagoge. In Gymnasien beträgt die Frauenquote im Lehrerzimmer immerhin noch rund 64 Prozent.

In der Schule würden Geschlechterklischees deshalb unterschwellig vermittelt, sagt die deutsche Pädagogin Edith Wölfl, die ihre Dissertation über "gewaltbereite Jungen" verfasste. Das fange schon in der Personalhierarchie an: "Obwohl so viel mehr Frauen in der Schule arbeiten, sitzen an der Spitze Männer."

Besser eine engagierte Frau als ein unreflektierter Mann

In Lehrplänen finde man zwar inzwischen viel guten Willen, Stereotype aufzubrechen – in der Praxis bleibe es aber "mühsam", sagt Wölfl. "Denn diese Klischees haben eine stabilisierende Wirkung, die gibt es ja nicht umsonst".

"Männliche Pädagogen sind dann ganz besonders wichtig, wenn sie in ihrem Rollenbild jemand sind, auf den man sich verlassen kann und der für einen kämpft." Das gelte aber auch für Frauen. "Mir ist eine engagierte, selbstbewusste Lehrerin lieber als ein Lehrer, der sein Rollenbild nicht reflektiert", sagt Wölfl.

Eine egalitäre Gesellschaft hilft auch den Männern

Werden die Rollenbilder abgelegt, würden schlussendlich alle profitieren, ist auch Schriftstellerin und Feministin Eva Rossmann sicher. "Es gibt nun einmal Frauen, die lieber mehr arbeiten, und Männer, die glücklicher sind, wenn sie möglichst viel Zeit für das soziale oder familiäre Zusammenleben haben." Das Problem sei, dass man sich bis heute dafür rechtfertigen müsse, wenn man nicht den Stereotypen entspreche.

Dabei wäre in einer egalitären Gesellschaft auch den Männern so viel mehr geholfen, sagt Rossmann: Sie könnten einen Teil ihrer Last auf den Schultern der Frauen abladen und dabei auch noch Zeit für die Familie gewinnen. "Gleichberechti- gung bedeutet für den Mann weniger Stress – und nicht ständig alleine liefern zu müssen. Geld beschaffen, Einfluss haben, sozialen Status sichern – das ist doch alles auch furchtbar anstrengend."  


Nota. - Es greift mir ans Herz: Wir Männer sind ja auch nur arme Opfer, dass unsere Vorväter vor hunderttausend Jahren das traditionelle Männerbild - alias die Unterdrückung der Frau - erfunden haben, ist ja gar nicht unsere Schuld! Seit hun- derten von Generationen ächzen wir unter dieser Bürde, immer schmerzhafter wird es, den Dauerstress auszuhalten, hinter der krampfhaft aufrechterhaltenen Fassade wimmert mitleiderregende Schwäche. Der Feminismus und seine lila Pudel meinen es ja nur gut mit uns, wenn sie kleine Jungen das Heulen lehren und das Pinkeln im Sitzen. Statt trotzig mit dem Fuß zu stampfen, sollten wir unsere Verletzlichkeit eingestehen, uns fügsam bei der Hand nehmen und vütterlich den Bauch streicheln lassen.
JE



 

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